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Goldener Magen David auf dunklem Grund, Detail aus einem Tora-Vorhang

Ein Tora-Vorhang und sein ursprünglicher Besitzer

Was sich durch Provenienz­recherchen über dieses Objekt in unserer Sammlung herausfinden ließ

Viel hebräische Schrift, klare Linien, wenig Ornament. Schlicht und elegant ist der Eindruck, den dieser Tora-Vorhang auf den ersten Blick macht. Er wurde aus schwerem, dunkel­blauem Samt gefertigt und mit einem großen David­stern sowie einer langen hebräischen Widmungs­inschrift in leuchtenden Gold­fäden bestickt. 1981 wurde dieser Tora-Vorhang für die Jüdische Abteilung des Berlin Museums als Teil der Sammlung Zwi Sofer erworben. Heute befindet er sich in den Sammlungs­beständen des Jüdischen Museums Berlin. Doch wem gehörte der Tora-Vorhang ursprünglich?

Die hebräische Widmungs­inschrift

Wichtige Informationen zur Geschichte des Objekts liefert die hebräische Inschrift des Tora-Vorhangs, die auf Deutsch übersetzt lautet:

„Gestiftet für G'tt, gewidmet als Geschenk dem Ältesten der Chavura, unserem Lehrer und Rabbiner Rav Elchanan Gumpertz, der Herr möge ihn behüten und am Leben erhalten zu seinem siebzigsten Geburtstag; als Dank für seinen großen Einsatz, den er zahlreiche Jahre in dem Rabbiner-Seminar geleistet hat. Von dem Vorstand des Rabbiner-Seminars, am 9. Elul 5681 [1921].“

Dank dieser Inschrift ist bekannt, dass der ursprüngliche Besitzer des Tora-Vorhangs Elchanan Gumpertz hieß, dass er ein Gelehrter war, im Jahr 1921 70 Jahre alt wurde und sich für ein Rabbiner-Seminar engagierte. Anhand dieser recht detaillierten Informationen konnte die genannte Person zweifelsfrei als Hermann Elchanan Gumpertz aus Hamburg (1851–1938) identifiziert werden.

Tora-Vorhang aus dunkelblauen Seidensamt mit schlichten Goldstickereien, im Zentrum ein Davidstern, in dessen Mittelfeld die hebräischen Buchstaben „K“ (=Kaw) und „T“ (=Taw) als Abkürzung für „Keter Tora“ (= Krone der Tora) eingestickt sind.

Tora-Vorhang; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. KGT 81/112/0, Ankauf aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassen­lotterie Berlin, Foto: Roman März

Der ursprüngliche Besitzer des Tora-Vorhangs

Der in Frankfurt am Main geborene Rabbiner Hermann Elchanan Gumpertz heiratete 1879 Therese Treindel May in Hamburg und machte sich dort schnell einen Namen. Schon mit 32 Jahren wurde er in den Vorstand des Synagogen-Verbands berufen und wenig später zum Vorsitzenden ernannt. Viele weitere Ämter und Ehren­ämter folgten: Er trat unter anderem in das Ober­rabbinat als Ehren­dajan (Rabbinischer Richter oder Rabbinats­beisitzer) und später als Rabbinats­verweser (Vertreter im weitesten Sinne) ein, war Gründer der Schaß-Chewro (Gelehrten-Runde), Mitbe­gründer der Jüdisch-literarischen Gesellschaft, Vorstands­mitglied der Alliance israélite universelle, Gründer des Hamburger Vereins für jüdische Geschichte und Literatur und Präsident der Steinthal-Loge. 

Schwarz-weiß-Porträtfoto von Hermann Gumpertz mit Bart und Hut

Hermann Gumpertz, Datierung unbekannt; Privatbesitz USA

Exkurs: Die Steinthal-Loge in Hamburg

Die Steinthal-Loge wurde 1909 in Hamburg gegründet. Ihre Mit­glieder gehörten vor allem dem wohl­habenden jüdischen Groß­bürgertum der Hansestadt an und widmeten sich als Organisation ihrem Motto gemäß: „Wohl­tätigkeit, Bruder­liebe und Eintracht“. Die Steinthal-Loge war Teil der weltweit seit 1843 vernetzten Bne Briss-Logen, worauf die Abkürzung „U.O.B.B.“ auf der abgebildeten Medaille zur Bar Mizwa hinweist, die bedeutet: „Unabhängiger Orden Bne Briss“.

Unabhängiger Orden Bne Briss

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Hermann Gumpertz war auch über­regional engagiert und über viele Jahre Vorsitzender des Kuratoriums des Berliner Rabbiner-Seminars. Im Oktober 1873 war das „Rabbiner-Seminar für das orthodoxe Judentum“ von Rabbiner Esriel Hildes­heimer in Berlin gegründet worden. Der Lehrplan dieses Seminars für Rabbiner sah eine wissen­schaftlich erweiterte und mit dem Studium der Tora und den Quellen des Juden­tums verbundene Ausbildung vor. In der Gips­straße 12a befanden sich Synagoge und Lehr­räume des Rabbiner-Seminars, die später in die Artillerie­straße 31–32, heute Tucholsky­straße, umzogen. Im Erd­geschoss des linken Flügels befand sich das Rabbiner-Seminar und im 1. Stock darüber ein Synagogen­raum, die so genannte „Bachurim Schul“, die die Studenten des Seminars besuchten.

Auch ein Sohn von Hermann Gumpertz, der 1888 geborene Fritz Schalom Gumpertz, studierte – neben seinem Medizin­studium in Heidelberg – in den Jahren 1910 bis 1912 am Berliner Rabbiner-Seminar.

Rabbiner-Seminar Berlin

Bilder vom Rabbiner-Seminar für das Orthodoxe Judenthum Berlin finden sich in einer Publikation des Rabbiner-Seminars, die als Digitalisat in der Freimann-Sammlung der Universitäts­bibliothek der Goethe-Universität Frankfurt am Main online abrufbar ist. 
Zum Titel bei der UB Frankfurt

Medaille mit plastisch hervortretendem Porträt eines bärtigen Mannes, vermutlich von Moses, am Rand steht umlaufend „Steinthalloge UOBB Hamburg/ Zur Erinnerung an die Barmizwoh.“

Steinthal-Loge Hamburg: Medaille zur Bar-Mizwa; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. KGM 81/197/0, Ankauf aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassen­lotterie Berlin, Foto: Jens Ziehe

Ein Schlüssel­dokument zur Herkunft des Tora-Vorhangs

Zum 70. Geburtstag wurde dem Jubilar Hermann Gumpertz laut einem Artikel in der Allgemeinen Zeitung des Judentums ein Porauches (Tora-Vorhang) geschenkt und ihm zu Ehren in der Seminar­synagoge in Berlin aufgehängt.

„Hamburg, 23. September: Hermann Gumpertz, einer der führenden Persönlich­keiten der gesetzes­treuen Juden Deutschlands, beging seinen 70. Geburtstag. Der Jubilar ist nicht nur in vielen Institutionen unserer Gemeinde in der Verwaltung tätig, sondern gehört auch dem Vorstand […] des Rabbiner­seminars in Berlin […] an. […] An seinem Ehren­tage erschien u. a. Herr Rabbiner Dr. M. Hildesheimer (Berlin) mit einer Abordnung des Vorstandes des Rabbiner­seminars, die nebst einer Glückwunsch­adresse auch ein Porauches über­reichten, das zur Ehrung des Jubilars in der Seminar­synagoge in Berlin seinen Platz haben soll. Auch andere Ver­einigungen über­reichten Adressen und Ehren­geschenke.“ (Artikel in der Allgemeinen Zeitung des Judentums 85 (1921))

Leider wird der Tora-Vorhang in dem Artikel nicht näher beschrieben, aber es ist dennoch hoch wahr­scheinlich, dass es sich hierbei um das heute in der Sammlung des Jüdischen Museum Berlins befindliche Textil handelt.

Ein Geschenk als Spiegel der Persönlichkeit?

Betrachtet man die Charakteri­sierungen Hermann Elchanan Gumpertzʼ in zeit­genössischen Artikeln und Beschreibungen von Weg­gefährten, so fällt die Betonung von dessen Gelehrsam­keit und Bescheiden­heit immer wieder ins Auge.

„Hermann Gumpertz war auf allen Gebieten der Thora und der welt­lichen Bildung zu Hause, er gehörte zu den leider immer seltener werdenden gelehrten Baalebatim [Mittelschicht, Bürger], die durch Vorbild und Beispiel weite Kreise für das traditionelle, unverfälschte gesetzes­treue Judentum, für Thora­lehre und ihre Erfüllung und Bestätigung im Leben begeistern und aneifern. Und wie war er mit einer Selbst­verständlichkeit und Schlicht­heit, die alle an ihm bewunderten.“ (P. [Anonymus]: „Zum Heimgange Hermann Gumpertz“, in: Der Israelit 79 (1938) 33, S. 11)

Es heißt, dass Gumpertz noch drei Tage vor seinem Tod von seinem Bett aus Talmud-Schüler unter­richtete. Am Ende des Unter­richts wurde Gumpertz ohn­mächtig, aber erwachte noch zwei Mal zu Bewusst­sein: Beim ersten Mal wünschte er einen Kiddusch zu sagen, einen Segens­spruch, der am Schabbat gesprochen wird. Beim zweiten Mal bat er um seinen Tallit (Gebets­schal) und seine Tefillin (Gebets­riemen), die er anlegte und starb.

Im Vergleich zu anderen, zeitgleich ent­standenen Tora-Vorhängen, die bisweilen reich mit mehr­farbigen Ornamenten oder bildlichen Applikationen verziert sind, besticht der geradlinig und sachlich gestaltete Gumpertzʼsche Tora-Vorhang gerade durch diese Form, die wohl den gelehrten Charakter des Vorbesitzers wider­spiegelt.

Foto eines Mannes mit Anzug und Hut vor einem Nadelbaum

Hermann Gumpertz, ohne Datierung; Abraham Schwadron Collection at the National Library of Israel

Letzte Spur Rabbiner-Seminar

Im Zuge der Gewalt­akte am 9./10. November 1938 wurde das Berliner Rabbiner-Seminar von den National­sozialist*innen zwangs­geschlossen. Allerdings blieb die Adass-Synagoge im Hinterhof des Seminars verschont und wurde weder geschändet noch zerstört.

Bekannt ist, dass weite Teile der Bibliothek des Rabbiner-Seminars nach Israel trans­feriert werden konnten. Auch der private, schriftliche Nach­lass von Hermann Elchanan Gumpertz konnte wohl größten­teils erhalten und nach Israel über­führt werden. 2017 wurde ein umfang­reiches Nachlass­konvolut von Gumpertz bei einer Auktion angeboten.

Noch einige offene Fragen gibt es dagegen zu dem Tora-Vorhang: Ob er sich zum Zeit­punkt der Terror­akte am 9. November 1938 noch in der Seminar-Synagoge befand, ist ebenso wenig bekannt wie der weitere Verbleib des Textils.

Datenbank Looted Cultural Assets

Als Ergebnis kooperativer Provenienzforschung zu NS-Raubgut finden sich in dieser Datenbank verschiedene Objekte aus dem Rabbinerseminar zu Berlin. 
Mehr auf lootedculturalassets.de

Im Februar 2017 machte @raubgut_books via Twitter auf zwei erfolgreiche Rückgaben an das Berliner Rabbinerseminar aufmerksam. 
Zum Tweet mit Links auf die Objekte

Wer war und was wurde aus Hermann Gumpertz?

Bei Recherchen zur Herkunft von Objekten taucht man häufig zugleich tief in die Biografien von deren ehe­maligen Besitzer*innen ein. Wer also war der Mann, dem dieser Tora-Vorhang einst gehörte?

Hermann Elchanan Gumpertz wurde am 6. September 1851 in Frankfurt am Main geboren. Dort besuchte er die Hirsch-Realschule und wurde im Geiste der jüdischen Neo-Orthodoxie in der Tradition von Samson Raphael Hirsch erzogen. Zu seinen Lehrern zählten Rabbi Moshe Main und Rabbi Zalmen Posen in Frankfurt am Main sowie Rabbi Josef Dov HaLevi Bamberger in Würzburg.

Lithografie eines leicht nach links gewendeten Gesichts mit kurzem, hellem Vollbart, Brille und leicht schräg auf dem Kopf drapiertem Käppchen; die Augenpartie ist stark verschattet, der Ansatz des Oberkörpers nur angedeutet.

Hermann Struck: Porträt Samson Raphael Hirsch (1808–1888); Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2007/98/0, Foto: Jens Ziehe. Weitere Informationen zu diesem Objekt finden Sie in unseren Online-Sammlungen

Exkurs: Samson Raphael Hirsch und die Neo-Orthodoxie

Mitte des 19. Jahr­hunderts entfernten sich zunehmend viele reform­orientierte Jüdinnen*Juden von alther­gebrachten Traditionen. Im Gegensatz dazu strebte Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) danach, den über­lieferten Glauben zu festigen und die Einhaltung der Religions­gesetze zu sichern. Er wurde zum Begründer der so genannten Neo-Orthodoxie. Seit 1851 prägte er als Rabbiner die orthodoxe Israelitische Religions­gesellschaft in Frankfurt am Main. Diese Großstadt­gemeinde versuchte den Lebensstil des deutschen Bürger­tums mit orthodoxer Frömmigkeit zu vereinen. Die 1853 von Hirsch gegründete Schule der Israelitischen Religions­gesellschaft, die Hermann Elchanan Gumpertz besuchte, zielte ebenfalls auf die Verbindung von traditioneller jüdischer Bildung mit den Werten des deutschen Idealismus.

Hermann Elchanan Gumpertzʼ Vater, der Kaufmann Isaak Michael Gumpertz (1776–1861), starb bereits, als sein Sohn erst 10 Jahre alt war. Danach förderte insbesondere seine Mutter, Jettchen Gumpertz (geborene Stern), die weltlich-kauf­männische und religiöse Aus­bildung des Sohnes. Unter anderem studierte er beim Ober­rabbiner Josef Altmann in Karlsruhe die Tora und erhielt dort auch die Autorisation zum Rabbiner.

Vergilbtes Foto festlich gekleideter Menschen an einem Tisch mit Weingläsern und -flaschen auf einem Bootsausflug, im Hintergrund ein See

Hermann und Therese Gumpertz (zweite und dritter von links) mit weiteren Angehörigen der Familie May; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. FOT 93/506/14, Schenkung von Shimshon S. Marcus

Im Mai 1879 heiratete Hermann Gumpertz in Hamburg Therese Treindel May. Sie war die Tochter von Simon May, der aus einer bekannten und wohl­habenden Hamburger Kaufmanns­familie stammte. Er war ein Vetter von Samson Raphael Hirsch und Parness (Gemeinde­vorsteher) der Jüdischen Gemeinde in Hamburg.

Im Familien­besitz ist ein persönliches Gedicht über­liefert, das wohl anlässlich der Hochzeit von Hermann und Therese Gumpertz verfasst wurde und sich immer wieder auf den Familien­namen der Braut und den Hochzeits­monat Mai bezieht:

„Was heute begonnen, was künftig wird sein, 
In Glück mögʼ sichʼs sonnen, gesegnet mögʼs sein, 
die Gegenwart lebe, die Zukunft dabei, 
Theresen u. Hermann ein ewiger Mai.“

»Stammbaum Hermann Gumpertz zum 85. Geburtstag/Therese Gumpertz zum 80. Geburtstag am 29. August 1936«, dargestellt als gezeichneter Baum mit dickem Stamm in der Mitte und seitlichen Ästen, je beschriftet mit Namen & Lebensdaten von Familienangehörigen

Stammbaum der Familie Gumpertz/May; Courtesy of the Leo Baeck Institute, New York

Handschriftliche Version des im Fließtext zitierten Gedichts

Gedicht zur Hochzeit von Hermann und Therese Gumpertz; Privatbeitz USA

Hermann Elchanan Gumpertz starb im stolzen Alter von 87 Jahren am 21. Juli 1938 in Hamburg. Er erhielt ein Ehren­grab auf dem Friedhof in Ohlsdorf, und eine große Trauer­freier wurde in der Gemeinde-Synagoge Bornplatz aus­gerichtet. In zahlreichen Nach­rufen wurde seinem Leben und nach­haltigen Wirken gedacht. In einem Nachruf auf Gumpertz in der Wochen­zeitschrift Der Israelit vom 18. August 1938 heißt es etwa:

„Bei all seinem Eifer für die Thora hatte er Verständnis und Liebe für Kunst und Wissen­schaft, für Ästhetik und Bildung, beherrschte alte und neue Sprachen, er wußte die Thora mit wissen­schaftlicher Bildung zu vereinen.“ (P. [Anonymus]: „Zum Heimgange Hermann Gumpertz“, in: Der Israelit 79 (1938) 33, S. 11)

Wie Hermann Gumpertz’ Nachlass nach Israel gelangte, so konnten auch zwei seiner Kinder recht­zeitig nach Palästina/Israel emigrieren. Fritz Schalom Gumpertz wurde in Jerusalem zu einem bekannten Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Seine 1861 geborene Schwester Martha, die mit Hugo Bondi verheiratet war, emigrierte 1940 über Umwege nach Palästina und ließ sich in Haifa nieder.

Anna-Carolin Augustin

Hugo Bondi und Martha Gumpertz

Digitalisierte Dokumente zu den beiden finden sich in den Israel State Archives.
http://www.archives.gov.il

Zitierempfehlung:

Anna-Carolin Augustin (2019), Ein Tora-Vorhang und sein ursprünglicher Besitzer. Was sich durch Provenienz­recherchen über dieses Objekt in unserer Sammlung herausfinden ließ.
URL: www.jmberlin.de/node/6193

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