Ein Beschwerde­brief von Jakob
Steinhardt

Transkription Seite 1:
„Ich bitte sie fl [folgenden] Vorfall, der sich in der Nacht vom .. zugetragen hat, Kenntnis zu nehmen und Nachforschungen anstellen zu wollen, wie es möglich sein kann, dass völlig harmlose und unpolitische Menschen solchen Situationen ausgesetzt werden können.
Ich bewohne seit 12 Jahren mit meiner Frau und 9 jähriger Tochter eine Atelierwohnung in der Pariser Str. No. 27. Ich bin Mitglied des deutschen Künstlerbundes, der Berliner Sezession und des Wirtschaftsverbandes bildender Künstler Deutschland; habe den Krieg in Russland und Macedonien mitgemacht. Ich bin politisch weder interessiert noch tätig, verkehre auch nicht mit Kommunisten noch mit politisch eingestellten Leuten. In der Nacht vom 3. zum 4. III. wurde um 4 h heftig geklingelt und 5 N.S standen vor der Wohnungstür sagten, dass sie vom Innenministerium Befehl hätten, Haussuchung vorzunehmen und mich zu verhaften. Da sie weder nähere Gründe angeben konnten, noch einen Haftbefehl vorweisen konnten, alamierten wir sofort das Überfallkommando. Erst dann liessen wir sie in die Wohnung, wo sie, ohne sich auszuweisen, eine Haussuchung vornahmen. Kurze Zeit darauf erschien das Überfallkommando.“

Vierseitiger Entwurf eines Beschwerdebriefs von Jakob Steinhardt (1887–1968) über seine Verhaftung, Bled, ca. 8. März 1933; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. DOK 95/525/756, Schenkung von Josefa Bar-On Steinhardt, Foto: Jens Ziehe

Transkription Seite 2:
„Und nahm ein Protokoll auf. Aber die S-A-Leute waren wiederum nicht in der Lage die nötigen Vollmachten für meine Verhaftung vorzuweisen. Auf Veranlassung des Überfall Kdo mussten sie meine Wohnung verlassen. Um ca. ½ 6 h läutete es wieder und dieselben
S-A Leute standen mit einem Schupobeamten vor der Wohnungstür. Der Beamte behauptete, dass ich auf seine Uniform hin auch ohne schriftl. Ausweis verpflichtet sei ihm zu folgen und zwar ins Polizeipräsidium Abt. 1a. Es blieb mir also weiter nichts übrig als mitzugehen. Vor der Haustür verabschiedete sich der Schupo.Beamte und ich wurde nun in Begleitung der S-A-Leute in einem Auto in eine Etagenwohnung gebracht, die sich in der Gegend Luther und Motzstr. befand. Hier wurden meine Taschen revidiert und gleichzeitig folgende Fragen an mich gerichtet, die darauf hinausliefen, ob ich einen Geheimsender in meiner Wohnung hätte! Nachdem die Herren sich sowohl durch die Haussuchung und das Verhör davon überzeugt hatten, dass ihr Verdacht völlig unbegründet war, wurde ich entlassen. In der nächsten Nacht (vom 4.-5.) um ½ 5 h läutete das Telefon und eine mir unbekannte Stimme verlangte mich zu sprechen. Als ich mich meldete sagte der Betreffende:“

Vierseitiger Entwurf eines Beschwerdebriefs von Jakob Steinhardt (1887–1968) über seine Verhaftung, Bled, ca. 8. März 1933; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. DOK 95/525/756, Schenkung von Josefa Bar-On Steinhardt, Foto: Jens Ziehe

Transkription Seite 3:
„‚Nun Herr Steinhardt, wie hat es Ihnen gestern gefallen? Wir sind dort nette Leute nicht wahr? Haben sie nun [schon] etwas gemerkt? Es ist Zeit, dass Sie jetzt nach Palästina fahren. Wir werden jetzt öfter zu Ihnen kommen, wir haben ja Ihre Schlüssel und kommen jederzeit rein. Mit dem Portier werden wir fertig, der ist nicht Schild.‘ Ich antwortete die ganze Zeit nicht ein Wort. Er tat die ganze Zeit über so, als unterhielte er sich mit mir, zum Schluss sagte er dann: ‚Er hat abgehängt wollen wir es genug sein lassen, ich denke nein‘.
Meine Frau hat durch diese Nächte am Sonntag einen Nervenzusammenbruch erlitten, sodass ich auf Anraten des Arztes einen völlig ruhigen Ort aufsuchen musste. Ich bin aus diesem Grunde am Dienstag nach Bled in Jugoslavien gereist. Durch die Polizei erfuhr ich am Sonntag d.5. dass das Überfallkdo Gedächtniskirche bei mir war und dass die Haussuchung und Verhaftung von [Sturm] 12 Stand. 7 ausging und dass die Namen der S-A-Leute zu Protokoll genommen worden sind. Ich bitte sie nochmals den Vorfall zu klären und vor allem Dingen den Urheber dieser Verleumdung festzustellen.“

Vierseitiger Entwurf eines Beschwerdebriefs von Jakob Steinhardt (1887–1968) über seine Verhaftung, Bled, ca. 8. März 1933; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. DOK 95/525/756, Schenkung von Josefa Bar-On Steinhardt, Foto: Jens Ziehe

Transkription Seite 4:
„Meine Adr. ist Bled (Jugoslawien) Hotel Toplice
mit o.H“

Vierseitiger Entwurf eines Beschwerdebriefs von Jakob Steinhardt (1887–1968) über seine Verhaftung, Bled, ca. 8. März 1933; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. DOK 95/525/756, Schenkung von Josefa Bar-On Steinhardt, Foto: Jens Ziehe