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Shoah (1985) von Claude Lanzmann

Fast zwölf Jahre seines Lebens wid­mete der franzö­sische Intellektuelle und Regi­sseur Claude Lanz­mann (1925–2018) der Recherche, den Dreh­arbeiten und dem Schnitt von Shoah. Das epische Werk mit einer Länge von 566 Minuten gilt bis heute als einzig­artiges filmisches Monu­ment über den systema­tischen Mord an den euro­päischen Jüdinnen*Juden und wurde zu einem zentralen Referenz­punkt in der Aus­einander­setzung mit den NS-Massen­ver­brechen.

Idee und Recherchen

Im Jahr 1973 war Alouf Hareven, Mit­arbeiter des israelischen Außen­ministeriums, mit dem An­liegen an Lanz­mann heran­ge­treten, einen Film zu drehen, „der die Shoah ist“. Zu diesem Zeit­punkt hatte der Regisseur gerade seinen ersten Doku­mentar­film Pourquoi Israël (Warum Israel) ab­ge­schlos­sen. Als er nach langem Zögern schließ­lich zu­sagte, er­ahnte er bereits die Dimen­sionen, die das Projekt an­nehmen könnte. Tat­säch­lich ent­wickelte sich der Film Shoah zu Lanz­manns Ver­mächt­nis und zum Kern seines weiteren Schaffens.

Zunächst begann eine inten­sive Zeit der Lek­türe: Besonders wichtig für Claude Lanz­mann waren die akri­bi­schen For­schungen des Historikers Raul Hil­berg, der später zu einem der Pro­ta­gonis­ten des Films wurde. Im Team mit Corinna Coul­mas und Irena Stein­feldt suchte er in Archiven in Israel, den USA, in Deutsch­land und weiteren Ländern nach Quellen und Namen – von Über­leben­den, aber auch von Tä­ter*in­nen. Denn ihm war klar, dass es den Film ohne ihre Stimmen nicht geben konnte. Neben Opfern und Tä­ter*in­nen sollten auch Ver­treter der Alli­ierten Regierungen und jüdi­scher Organi­sationen zu Wort kommen.

Vorgespräche und Tonaufzeichnungen

Gleichzeitig begann Claude Lanz­mann Vor­ge­spräche mit mög­lichen Pro­ta­gonist*in­nen zu führen. Coul­mas und Stein­feldt be­gleiteten ihn, wo es er­forder­lich war, als Dol­met­sche­rin­nen und führten auch selbst Inter­views in ver­schiedenen Ländern durch. Ge­leitet von seiner starken Intui­tion und gleich­zeitig ge­rüstet mit dem Wissen aus den inten­siven Re­cherchen und Vor­ar­beiten be­fragte Claude Lanz­mann Zeit­zeug*in­nen zu sämt­li­chen Aspek­ten der Ver­fol­gung und Ver­nich­tung der euro­päischen Jüdinnen*Juden.

Zu Dokumentations­zwecken wurden die Vor­ge­spräche auf Ton­band­kassetten auf­ge­zeichnet. Bei den Inter­views mit NS-Tä­tern sowie einer NS-Tä­terin blieb das Auf­nahme­gerät meist in der Tasche ver­borgen. Mehr als 220 Stunden dieser Audio­auf­nahmen aus der Recher­che­phase zu Shoah sind er­halten ge­blieben. Seit 2021 sind sie Teil der Samm­lung des Jüdi­schen Museums Berlin (JMB).

Filmaufnahmen und Outtakes

Im Sommer 1978 be­gannen schließ­lich die syste­mati­schen Film­auf­nahmen. Claude Lanz­mann drehte zu­nächst in Polen an den Orten der ehe­mali­gen deutschen Ver­nich­tungs­lager. Auf­nahmen in vielen weiteren Ländern folgten in diesem und im folgen­den Jahr. Für die Inter­views mit Tä­tern wurde die so­genannte Pa­luche, eine Art ver­steckter Kamera, ge­nutzt, die es damals welt­weit nur wenige Male gab.

Von einigen der recher­chierten Themen musste sich Claude Lanz­mann bereits vor Beginn der Dreh­arbeiten trennen. Andere fielen während des mehr­jährigen Schnitts weg. Das nicht ge­nutzte Film­material, die Out­takes von Shoah, sind heute im United States Holo­caust Memorial Museum in Washing­ton, D.C. zu­gäng­lich und ver­mitteln zusammen mit dem Audio-Archiv des JMB ein Bild von der um­fang­reichen Vor­recher­che und thema­tischen Viel­falt der Ent­stehungs­ge­schichte des Films Shoah.

Die Claude Lanz­mann Shoah Collection des United States Holo­caust Memorial Museums (USHMM)

Die digitalisierte Claude Lanz­mann Shoah Collection der Out­takes von Shoah um­fasst 185 Stunden Inter­view­material sowie 35 Stunden mit Auf­nahmen von Dreh­orten. Die Samm­lung wurde mit Hinter­grund­infor­matio­nen zu den Pro­ta­go­nist*in­nen ver­sehen, trans­kribiert sowie – bei ab­weichen­der Film­sprache – ins Englische über­setzt.
Website des USHMM mit der Claude Lanzmann Shoah Collection (auf Englisch)

Filmsprache

Im Zentrum des Films, der am 30. April 1985 in Paris ur­auf­ge­führt wurde, steht der millionen­fache Tod in den Ver­nich­tungs­lagern. Die Über­leben­den, mit denen Lanz­mann im Film darüber spricht, be­zeichnete er als „revenants“ (Wieder­gänger), die nicht nur für sich, sondern für all die Toten Zeugnis ab­legen, mit­unter an den Orten der Ver­nich­tung selbst, teil­weise im weit­ent­fernten Exil. Als direkte Zeug*in­nen der Ver­nich­tung sucht er auch die christ­lich-pol­nischen An­wohner*in­nen auf, die Zaun an Zaun mit den Lagern lebten. Und schließ­lich be­fragt er NS-Tä­ter und lässt sie vor ver­steckter Kamera über ihr Morden be­richten. Hinzu kommen zahl­reiche Auf­nahmen von Gleisen und einer Lok, wie sie für die Depor­tationen der Millionen von Menschen in die Todes­lager ver­wendet wurde, sowie An­sichten von den Über­resten der Mord­stätten und den sie um­geben­den Land­schaften.

Lanzmann verzichtet darauf, historisches Bild­material von den Toten oder den Lagern zu zeigen. Viel­mehr zeigt er das Ver­schwin­den der Spuren, die Leere und die Schwierig­keiten die Ver­nich­tung in Worte zu fassen. In filmischen An­ord­nungen und Insze­nie­run­gen von er­innern­dem Sprechen und histo­rischen Land­schaften folgt Lanz­mann der Ver­gangen­heit in der Gegen­wart. Shoah hat er nie als Doku­mentar­film ver­standen. Es ist der Ver­such, das Un­sicht­bare sicht­bar zu machen.

Rezeption

In Deutsch­land war Shoah erst­mals im Jahr 1986 auf der Berlinale und bald darauf im WDR und im NDR zu sehen. Die Rezeption des Films fiel zwie­spältig aus. In poli­ti­schen Kreisen und für Teile der Öffent­lich­keit ge­fähr­dete der Film das Selbst­ver­ständ­nis der da­mali­gen Bundes­repu­blik. Der Bayerische Rund­funk hatte erfolg­reich darauf hin­ge­wirkt, die Aus­strah­lung von Shoah in der ARD zu ver­hin­dern. Die Film­be­sprechungen in den Feuille­tons und Fach­zeit­schriften fielen wiederum über­wiegend wohl­wollend aus. 

International wurden der Film und sein Regisseur indes mit zahl­reichen Preisen aus­ge­zeich­net. Das Werk gilt bis heute als weg­weisend in der fil­mi­schen Re­flexion der NS-Massen­ver­brechen an den euro­päischen Jüdinnen*Juden. 2023 wurde Shoah zusammen mit dem Lanz­mann-Audio-Archiv in das Register des UNESCO-Welt­doku­menten­erbes Memory of the World auf­genommen.

Filmplakat für „Shoah“ von Claude Lanzmann. Der Bildvordergrund zeigt ein grafisches Muster aus Augen. Die Iris all dieser Augen ist jeweils transparent. Durch die transparenten Stellen kann man im Bildhintergrund ein Farbfoto des Lagertors von Auschwitz-Birkenau vor blauem Himmel sehen sowie die Bahngleise, die auf das Tor zuführen.

Filmplakat von Shoah vom 2025 anlässlich der Wiederaufführung des Films auf der Berlinale

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