Veröffentlicht von am 11. Juni 2013 1 Kommentar

Frage des Monats:
»Welche Rolle spielen Gender-Themen?«

»Was ist mit weiblichen Rabbinerinnen? (Gebet an der Klagemauer?)«

Post-it mit den Fragen: Welche Rolle spielen "Gender" Themen? Was ist mit weiblichen Rabbinerinnen? (Gebet an der Klagemauer?)

Die Frage des Monats in der Sonderausstellung »Die ganze Wahrheit«
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Anina Falasca

Unsere aktuelle Sonderausstellung »Die ganze Wahrheit … was Sie schon immer über Juden wissen wollten« baut auf 30 Fragen auf, die an das Jüdische Museum Berlin oder dessen Mitarbeiter gerichtet wurden. In der Ausstellung haben unsere Besucherinnen und Besucher selbst die Möglichkeit, auf Post-its Fragen oder Kommentare zu hinterlassen. Einige dieser Fragen beantworten wir hier im Blog.

Die Frage nach den Rollen von Frau und Mann im Judentum ist interessant, weil sich das traditionelle Rollenbild im Laufe des letzten Jahrhunderts stark verändert hat. Wie in jeder Religion finden sich hierzu auch im Judentum viele Meinungen. Diese korrespondieren mit den orthodoxen, konservativen und liberalen Strömungen, die sich zwar mit denselben Fragen auseinander setzen, aber zu ganz unterschiedlichen Antworten gelangen.

Foto und Talar von Regina Jonas

Regina Jonas in der Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Anina Falasca

Derzeit amtieren fünf Rabbinerinnen in Deutschland und weltweit ist ein Viertel aller liberalen Rabbiner weiblich. Die 1902 in Berlin geborene und 1944 in Auschwitz ermordete Regina Jonas  wurde 1935 hier in Berlin die erste Rabbinerin überhaupt.
In unserer Dauerausstellung  zeigen wir eine Fotografie von ihr. Die erste Frau, die nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland als Rabbinerin ordiniert wurde, heißt Alina Treiger. Sie amtiert seit drei Jahren in Oldenburg und Delmenhorst. Irit Shillor zählt ebenfalls zu den Rabbinerinnen in Deutschland. Sie übt ihr Amt in Hameln aus und kommt auch in unserer Filminstallation »Ask the Rabbi« zu Wort:

»Meine Gemeinde lacht immer, wenn ich ständig Gott sage. Ich sage nicht ›sie‹ oder ›er‹. Für mich ist das ganz wichtig, nicht nur weil wir diese abstrakte Idee von Gott haben, sondern auch, weil ich meinen Gemeindemitgliedern zeigen möchte, dass männlich zu sein nicht wichtiger oder besser ist, als weiblich zu sein. Ich weiß, dass es heutzutage im 21. Jahrhundert schon viel besser geworden ist als noch im 20. Jahrhundert, aber trotzdem ist es mir wichtig. Das ist meine feministische Seite als Rabbinerin, als amtierende Frau.«

Auch der liberale Rabbiner Jonah Sievers, Gemeinderabbiner in Braunschweig,  äußert sich in unserem Film zur Gleichberechtigung der Frauen:

»Im liberalen Judentum sind Frauen absolut gleichberechtigt. Das heißt sie können zur Tora aufgerufen werden, sie zählen zum Gebetsquorum der Minjanim und sie können eben auch Rabbinerinnen und Kantorinnen werden. Das sieht das traditionelle Judentum anders, das verteilt die Rollen sozusagen wie man das traditioneller Weise oder konservativer Weise kennt. Die Rolle der Frau wird eher im privaten Bereich gesehen als im öffentlichen Bereich.«

Rabbiner Sievers spricht hier vom Egalitären Gottesdienst, den es seit Anfang der 1990er-Jahre in Deutschland gibt. Konnte traditionellerweise ein Gottesdienst nur dann stattfinden, wenn zehn anwesende jüdische Männer eine symbolische Gemeinde, den Minjan, bildeten, berücksichtigt der Egalitäre Minjan auch Frauen. Hier übernehmen Frauen gleichberechtigt alle Aufgaben eines Gottesdienstes.

Dies widerspricht der Auffassung des orthodoxen Gemeinderabbiners in Dortmund, Avichai Apel:

»Im traditionellen Judentum – der Orthodoxie – ist es immer so gewesen, dass Männer Rabbiner gewesen sind und Frauen nicht. Warum? Ist das chauvinistisch oder feministisch? Sollte man es vielleicht ändern? Ein Mann hat seine Aufgabe und eine Frau hat eine ganz andere Aufgabe. Gott hat den Mann in einer anderen Form geschaffen als die Frau. Das heißt, jeder hat auch andere Aufgabe zu erfüllen. Ein Mann kann beispielsweise keine Kinder bekommen. […] Deshalb ist die Frau ist zuhause das Oberhaupt. Aufgrund dieser gesamten Situation sollte ein Mann Rabbiner sein und nicht eine Frau.«

Wand mit pinken Post-it-Zetteln

Fragenwand in der Ausstellung »Die ganze Wahrheit«
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Linus Lintner

Nur wenige nicht-orthodoxe Jüdinnen teilen diese Sicht. Dies wird unter anderem an einer aktuellen Kontroverse in Israel deutlich: Wer schon einmal an der Klage- oder Westmauer in Jerusalem war, weiß, dass es dort zwei abgetrennte Bereiche gibt, einen für Männer, einen für Frauen. Der Bereich der Männer ist nicht nur doppelt so groß, dort geht es auch doppelt so laut zu. Denn bisher war es Frauen an ihrer Seite der Mauer nicht erlaubt, einen Gebetsschal zu tragen oder gemeinsam aus der Tora vorzusingen. Immer mehr Jüdinnen in Organisationen wie Women of the Wall wehren sich gegen diese Ungleichbehandlung. Anfang des Jahres setzten sie vor Gericht durch, dass Frauen an der Westmauer die Tora ebenfalls laut lesen dürfen, und sie machen diesen Anspruch – wie im Videoblog von Richard C. Schneider zu sehen ist – gegen alle Widerstände weiterhin stark.

Anina Falasca, Wechselausstellungen

Kommentiert von Klaus Daniel am 22. Juli 2017, 15:29 Uhr

Ich war in der vergangenen Woche in Jerusalem. Da habe ich natürlich einige Fragen entwickelt. Einige haben Sie mir durch die Frage des Monats beantwortet. Vielen Dank dafür. Ich finde sowohl die Rubrik, als auch die umfassenden Antworten sehr gut.
Vielen lieben Dank.

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