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Kıymet oder:
Eine filmische Hommage an meine Großmutter

Drei Fragen an Canan Turan

Die Geschichten von Migrant*innen aus der Türkei, aus Vietnam, Polen, Indien oder Kamerun sind nicht neu – neu ist allein, dass sie als deutsche Geschichten erzählt werden. So auch in unserer Veranstaltungsreihe Neue deutsche Geschichten, in deren Rahmen die Regisseurin Canan Turan am 8. Juli 2014 zu Gast in der Akademie des Jüdischen Museums war. In ihrem Film Kıymet erzählt sie die Geschichte ihrer Großmutter, die Anfang der 1970er Jahre aus der Türkei nach Berlin kam.

Vorab – am 4. Juli 2014 – führte Julia Jürgens ein kurzes Interview mit Canan Turan und stellte ihr die folgenden drei Fragen:

Wie ist die Idee entstanden, einen Film über Ihre Großmutter Kıymet zu drehen?

Meine Großmutter ist eine starke, beeindruckende Persönlichkeit mit einer Geschichte, die nicht nur sehr dramatisch ist, sondern auch empowernd, für Frauen wie auch für People of Colour. Die Idee zum Film gab es schon seit einigen Jahren. Inspiriert hat mich vor allem die Trennung meiner Großmutter von meinem Großvater; sie hat damit großen Mut bewiesen und auch mich zu mehr Emanzipation in Beziehungen ermutigt. Den Film wirklich zu drehen war dann eigentlich nur noch eine Frage der Zeit bzw. der Finanzierung. Während meines Studiums am Goldsmiths College in London habe ich schließlich die notwendige strukturelle Unterstützung dafür bekommen und konnte das Projekt realisieren.

Eine ältere Frau mit Brille und Kopftuch (links im Bild) spricht mit einer jüngeren Frau, die ebenfalls eine Brille trägt und am rechten Bildrand steht

Die Regisseurin Canan Turan mit ihrer Großmutter; Adriana Uribe

Der Film zeichnet ein sehr persönliches Porträt. Er rückt die Geschichte von Kıymet, ihre Familie und Ehe, in der sie Gewalt und Leid erfuhr, in den Vordergrund. Die allgemeinere Geschichte der Einwanderung aus der Türkei nach Deutschland wird hingegen eher nebenher erzählt. Wieso haben Sie sich für diesen biografischen Zugang entschieden?

Die Geschichte der Migrantinnen und Migranten in Deutschland ist die Geschichte von Kıymet oder Ahmet, Emine, Hüseyin und allen anderen, die herkamen, weil sie in ihrem Herkunftsland nicht mehr leben konnten oder wollten. Geschichte ohne Biografien begreifen zu wollen und ohne den Wert von Oral History wertzuschätzen, ist ein sehr westlich/europäisches Konzept, das die menschliche Erfahrung zugunsten eines Master-Narrativs ausblendet. Als Filmemacherin sehe ich mich außerdem in der Verantwortung, von dem zu erzählen, was ich am besten kenne, wie z.B. meine eigene Familie. Alles andere läuft Gefahr, zu othern und repräsentieren zu wollen, was nicht repräsentierbar ist. Kurzum: Ich kenne und bewundere meine Großmutter und wollte ihre Geschichte teilen, die gleichzeitig das Leben einer bemerkenswerten Frau und ein Stück Migrationsgeschichte Deutschlands darstellt.

Trailer zum Film Kıymet von Canan Turan

Ihre Großmutter hat in Deutschland seit den frühen 1970er Jahren für die Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern gekämpft und sich gegen Rassismus und Diskriminierung an Betrieben und Schulen eingesetzt. In welchen Verbänden war sie aktiv?

Meine Oma Kıymet war seit 1974 aktives Mitglied der Gewerkschaft IG Metall. Sie erzählte mir oft davon, wie stark die migrantischen Arbeiterinnen und Arbeiter dort vertreten waren und sich beispielsweise bei Demonstrationen und unterschiedlichen Protestaktionen, ganz besonders am 1. Mai, organisierten. In den 1980er Jahren arbeitete sie als Putzfrau im Urbankrankenhaus in Berlin-Kreuzberg und war dort in ihrem Kollegenkreis, unter den Krankenschwestern sowie Ärztinnen und Ärzten sehr beliebt. Man wusste von ihrer Vergangenheit als Mitglied der Arbeiterpartei der Türkei und wählte sie mehrfach in den Vorstand des Betriebsrats. Nach dem Tod ihres ältesten Sohnes 1989 ging meine Oma vorzeitig in Rente. Ich bin mir sicher, dass sie sonst noch viele Jahre politisch aktiv gewesen wäre, denn sie ist nach wie vor eine sehr tüchtige und von ihrem Sinn für Gleichheit und Gerechtigkeit fest überzeugte Frau. Doch seit einigen Jahren lebt sie eher zurückgezogen in ihrer Familien- und Dorfgemeinschaft an der thrakischen Mittelmeerküste. Wie vielen anderen Migrantinnen und Migranten hat ihr das harte Leben als „Gastarbeiterin“ in Deutschland und dazu das Leid in ihrer Ehe stark zugesetzt, das sind zwei zentrale Gründe für ihren Rückzug.

Das Interview führte Julia Jürgens (Akademieprogramm zu Migration und Diversität).

Zitierempfehlung:

Julia Jürgens (2014), Kıymet oder:
Eine filmische Hommage an meine Großmutter. Drei Fragen an Canan Turan.
URL: www.jmberlin.de/node/6355

Interviewreihe: Neue deutsche Geschichten (12)

  • Neue deutsche Geschichten

    Im Rahmen der Reihe Neue deutsche Geschichten luden unsere Kolleg*innen vom Akademieprogramm zu Migration und Diversität von 2014 bis 2017 regelmäßig Gesprächspartner*innen ins Jüdische Museum ein, um mit ihnen anhand ihrer Biografien Geschichte und Gegenwart Deutschlands als Migrationsgesellschaft zu thematisieren. Fast immer entstanden im Vorfeld dieser Veranstaltungen Interviews, die wir hier für Sie zusammengestellt haben.

  • Karamba Diaby sitzt auf einer Treppe, er trägt einen blauen Anzug mit rotkarierter Krawatte

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    „Diese Repräsentationskluft sollten wir schließen“

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    26. Mai 2017

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    David Ranan

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    9. Mär 2015

  • Porträt einer Frau mit Brille, die lächelt und direkt in die Kamera schaut

    Alina Gromova

    Generation „koscher light“. Junge russischsprachige Jüdinnen*Juden in Berlin

    Interview
    8. Sep 2014

  • Eine ältere Frau mit Brille und Kopftuch (links im Bild) spricht mit einer jüngeren Frau, die ebenfalls eine Brille trägt und am rechten Bildrand steht.

    Canan Turan

    Kıymet oder: Eine filmische Hommage an meine Großmutter

    Interview
    4. Jul 2014

  • Auf dem Cover ist ein Foto von drei spielenden Kindern zu sehen

    Urmila Goel und Nisa Punnamparambil-Wolf

    InderKinder. Über den kreativen Umgang mit Zuschreibungen

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    19. Mär 2014

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    29. Jan 2014

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