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„Anders, aber nicht fremd“

Drei Fragen an David Ranan

Für sein Buch Die Schatten der Vergangenheit sind noch lang – Junge Juden über ihr Leben in Deutschland hat der Kulturwissenschaftler David Ranan Interviews mit Jüdinnen*Juden zwischen zwanzig und vierzig Jahren geführt, deren Großeltern den Holocaust überlebten und sich nach dem Krieg in Deutschland ansiedelten. Im Rahmen der Reihe Neue deutsche Geschichten stellte der in London lebende Autor am 7. Juli 2015 in der Akademie des Jüdischen Museums Berlin sein Buch vor.

Julia Jürgens stellte ihm vorab – am 6. Juli 2015 – die folgenden drei Fragen:

Eine Frage, die Sie Ihren Interviewpartner*innen stellen, dreht sich um den Topos des ‚gepackten Koffers‘, der in der ersten und zweiten Generation die Zerrissenheit zwischen Bleiben- und Gehen-Wollen ausdrückte. Gibt es diese Ambivalenz in der dritten Generation noch, oder wie würden Sie das Gefühl von Zugehörigkeit zu Deutschland heute beschreiben?

Auf gepackten Koffern sitzen Juden in Deutschland heute nicht mehr. Das haben beinahe alle Interviewpartner bestätigt. Das bedeutet aber nicht, dass man Zugehörigkeit empfindet. Einer beschrieb dieses Gefühl als „anders, aber nicht fremd“. Es gibt auch Unterschiede innerhalb der dritten Generation, aber in der Regel fühlen sich die Jüngeren mehr als Deutsche als die Älteren. Das wird zum Beispiel beim Sport deutlich. Einer meiner älteren Interviewpartner erzählte: „Wenn WM ist, dann ziehen sich die zehn Jahre Jüngeren Deutschlandtrikots an, sie malen sich Deutschlandfarben ins Gesicht und bejubeln die deutsche Nationalmannschaft. Bei uns hätte es das nicht gegeben, weder in meiner Familie, noch im jüdischen Freundeskreis meines Alters.“

Wir stellen in unserer Reihe Neue deutsche Geschichten normalerweise Autor*innen vor, die eine (auto-)biographische Perspektive auf das Thema Migration einnehmen. Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland besteht heute zu einem großen Teil aus Einwander*innen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Diese neue deutsch-jüdische Perspektive kommt jedoch in Ihrem Buch nicht vor. Was waren Ihre Kriterien für die Wahl der Interviewpartner*innen?

Mich interessierte die Entwicklung innerhalb der jüdischen Gemeinde in Deutschland, die in der ersten Generation so sehr traumatisiert war, was sich auf die zweite Generation der schon in Deutschland Geborenen übertrug. Das waren Menschen, die zu Deutschland wie auch zu Israel ein schwieriges Verhältnis hatten. Es geht in dieser Studie um die dritte Generation. Deswegen habe ich junge Juden gesucht, deren Großeltern sich direkt nach dem Holocaust oder einige Jahre nach Kriegsende in Deutschland niedergelassen haben.

Buchcover

Cover von Die Schatten der Vergangenheit sind noch lang von David Ranan; Nicolaische Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin

Die Beziehung zu Israel ist ein wichtiges Thema der Interviews. Wie steht die junge Generation von Jüdinnen*Juden in Deutschland zu Israel? Welche Tendenzen sehen Sie?

Die jungen Leute sprechen sehr emotional über Israel und erwähnen oft, dass Israel für sie ein Zufluchtsort sei: Wenn alle Stricke reißen, kann man nach Israel gehen. Typisch ist die Aussage: „Man kann dort immer hingehen, aber trotzdem kann ich mir im Moment nicht vorzustellen, da zu leben, weil ich mich hier wohl fühle.“ Beinahe alle Interviewten haben das Bedürfnis, Israel gegen Kritik zu verteidigen. Auch wenn sie die israelische Politik in manchen Dingen problematisch, manchmal sogar sehr problematisch finden, sind sie nur in wenigen Fällen bereit, Israel öffentlich zu kritisieren. Ein Interviewpartner empfand solche Kritik sogar als Verrat.

Das Interview führte Julia Jürgens (Akademieprogramm zu Migration und Diversität).

Schwarz-weiß-Porträt eines Mannes.

Porträt des Autors; David Ranan

Zitierempfehlung:

Julia Jürgens (2015), „Anders, aber nicht fremd“. Drei Fragen an David Ranan.
URL: www.jmberlin.de/node/6349

Interviewreihe: Neue deutsche Geschichten (12)

  • Neue deutsche Geschichten

    Im Rahmen der Reihe Neue deutsche Geschichten luden unsere Kolleg*innen vom Akademieprogramm zu Migration und Diversität von 2014 bis 2017 regelmäßig Gesprächspartner*innen ins Jüdische Museum ein, um mit ihnen anhand ihrer Biografien Geschichte und Gegenwart Deutschlands als Migrationsgesellschaft zu thematisieren. Fast immer entstanden im Vorfeld dieser Veranstaltungen Interviews, die wir hier für Sie zusammengestellt haben.

  • Karamba Diaby sitzt auf einer Treppe, er trägt einen blauen Anzug mit rotkarierter Krawatte

    Karamba Diaby

    „Diese Repräsentationskluft sollten wir schließen“

    Interview
    26. Mai 2017

  • Portät einer älteren Dame mit Dutt

    Anita Awosusi

    Über ihr Buch Vater unser – Eine Sintifamilie erzählt

    Interview
    6. Feb 2017

  • Schwarz-Weiß-Porträt eines jungen Mannes mit Brille im Halbprofil

    Ármin Langer

    „Von der Langeweile des friedlichen Zusammenlebens“

    Interview
    18. Okt 2016

  • Porträt einer Frau mit Brille, die lächelt und direkt in die Kamera schaut

    Marion Kraft

    „Der Anteil, den Schwarze Soldaten an der Befreiung Deutschlands vom Faschismus hatten, droht in Vergessenheit zu geraten”

    Livestream
    6. Jul 2016

  • Porträt einer jungen Frau, die lächelt

    Çiçek Bacık

    „Bisher wurde immer über uns gesprochen und geschrieben“

    Interview
    13. Okt 2015

  • Porträt einer Frau mit blauem Kopftuch, Lippenstift und Lidschatten, die nach oben links schaut.

    Fereshta Ludin

    „Ich wünsche mir, dass man mir mehr in die Augen schaut als auf das Tuch“

    Interview
    16. Sep 2015

  • Schwarz-weiß-Porträt eines Mannes.

    David Ranan

    „Anders, aber nicht fremd“

    Interview
    6. Jul 2015

  • Ausschnitt aus einem Buchcover: Es zeigt einen in Zeitung gewickelten Fisch, von dem man Kopf und Schwanzflosse sieht.

    Ahmad Milad Karimi

    „Warum ich gerne Muslim bin und wieso Marlon Brando viel damit zu tun hat“

    Interview
    9. Mär 2015

  • Porträt einer Frau mit Brille, die lächelt und direkt in die Kamera schaut

    Alina Gromova

    Generation „koscher light“. Junge russischsprachige Jüdinnen*Juden in Berlin

    Interview
    8. Sep 2014

  • Eine ältere Frau mit Brille und Kopftuch (links im Bild) spricht mit einer jüngeren Frau, die ebenfalls eine Brille trägt und am rechten Bildrand steht.

    Canan Turan

    Kıymet oder: Eine filmische Hommage an meine Großmutter

    Interview
    4. Jul 2014

  • Auf dem Cover ist ein Foto von drei spielenden Kindern zu sehen

    Urmila Goel und Nisa Punnamparambil-Wolf

    InderKinder. Über den kreativen Umgang mit Zuschreibungen

    Interview
    19. Mär 2014

  • Drei Frauen im Profil an einem Tisch, die lächelnd Bücher signieren

    Alice Bota, Khuê Pham und Özlem Topçu

    „Neue deutsche Geschichten“

    Interview
    29. Jan 2014

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