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„Bisher wurde immer über uns gesprochen und geschrieben“

Drei Fragen an Çiçek Bacık

In der Reihe Neue deutsche Geschichten waren am 14. Oktober 2015 die Daughters and Sons of Gastarbeiters in der Akademie des Jüdischen Museums Berlin zu Gast. Die Berliner Autor*innen folgten als Kinder ihren Eltern aus den Dörfern Anatoliens, Südeuropas und des Balkans nach Deutschland oder kamen in einem Arbeiterviertel der Bundesrepublik zur Welt. Ihre Mütter und Väter sollten in Deutschland als „Gastarbeiter“ den Wirtschaftsaufschwung beflügeln. Sie erzählen persönliche Geschichten, blicken zurück, verfolgen die Spuren ihrer Eltern und leisten damit einen Beitrag zur deutschen Erinnerungskultur.

Vorab – am 13. Oktober 2015 – machte Nevin Ekinci ein kurzes Interview mit Çiçek Bacık, der Co-Initiatorin und Leiterin des Projekts, und stellte ihr folgende drei Fragen:

Wie ist das Projekt Daughters and Sons of Gastarbeiters entstanden und welche Motivation steckt hinter dem Erzählen dieser sehr persönlichen Geschichten?

Letztes Jahr war ich mit einer Freundin, der Journalistin Ferda Ataman, bei einer Lesung. Danach saßen wir in einer Bar. „Ferda, wir müssen anfangen, unsere Geschichten zu erzählen und diese mit anderen zu teilen. Wir müssen selbst Licht in ein dunkles Kapitel unserer Vergangenheit bringen, das wir erfolgreich verdrängt haben“, sagte ich. „Ja, was hält uns denn davon ab?“ Das war der Startschuss für die Daughters and Sons of Gastarbeiters und unsere erste Lesung fand im Januar 2015 im Wasserturm Kreuzberg statt.

Bisher wurde immer über uns gesprochen und geschrieben. Wir wurden jahrzehntelang als Fremdkörper in Deutschland aber auch in unseren eigenen Herkunftsländern wahrgenommen. Unsere Position hat niemanden interessiert. Die Daughters and Sons of Gastarbeiters ergreifen nach langer Zeit die Gelegenheit, ihre Familiengeschichten neu zu reflektieren, sie neu zu schreiben und ihnen einen Charakter und eine Stimme zu verleihen. Durch die Form des Schreibens gewinnen unsere Erfahrungen an Authentizität und bekommen damit eine andere Dimension.

Porträt einer jungen Frau, die lächelt

Çiçek Bacık; Neda Navaee

Nach welchen Kriterien stellen Sie den Kreis der Autor*innen zusammen? Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?

Daughters and Sons of Gastarbeiters ist eine offene Literaturplattform. Zwar wurde diese Initiative von Kindern türkischer „Gastarbeiter“ gegründet, aber sie ist auch offen für Personen anderer Herkunft, die eine Einwanderungsgeschichte haben. Wir möchten durch unsere Lesungen andere motivieren, sich unserer Initiative anzuschließen. Wir legen großen Wert darauf, dass sich in unseren Geschichten die gelebte Vielfalt in der Einwanderungsgesellschaft in Deutschland wiederspiegelt. Wir möchten damit die neuen deutschen Geschichten ans Tageslicht bringen und einen Beitrag zur Erinnerungskultur in Deutschland leisten.

Daughters and Sons of Gastarbeiters

Weitere Informationen zum den Daughters and Sons of Gastarbeiters und die Termine geplanter Lesungen finden Sie auf der Website des Autor*innenkollektivs.
www.gastarbeiters.de

verschiedene Produkte auf einem Tisch (türkischer Joghurt, Nivea-Creme, Yeni Raki u.a.)

Objekte der Erinnerung; Çiçek Bacık

Es fällt auf, dass es den Töchtern und Söhnen der „Gastarbeiter“ scheinbar leichter fällt, die Erfahrungen ihrer Familien öffentlich zu teilen. Warum, glauben Sie, ist das so und gibt es mittlerweile auch das Bedürfnis der sogenannten ersten Einwanderergeneration, über ihre Erfahrungen zu sprechen?

Meiner Ansicht nach fällt es noch zahlreichen Töchtern und Söhnen der „Gastarbeiter“ schwer, über die eigenen Erfahrungen und die ihrer Eltern zu schreiben und zu sprechen. Die Hemmschwelle ist weiterhin sehr groß. Viele haben auch nicht die Kraft, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und über die schweren Bedingungen als „Migrant“, über Ablehnung und Abgrenzung zu sprechen.

Unsere Gastarbeitereltern sind im Rentenalter. Ein Großteil von ihnen ist schwer krank und kann seinen Lebensabend kaum genießen und empfindet wenig Lebensfreude. Viele von ihnen pendeln zwischen der Heimat und Deutschland. Sie haben eigentlich mit dem Kapitel Deutschland abgeschlossen. Sie reden nicht gern über ihre Vergangenheit und über ihre Enttäuschungen in Deutschland. Wir Kinder müssen sehr darauf insistieren, damit sie ihre Erlebnisse preisgeben und mit uns teilen.

Die Fragen stellte Nevin Ekinci (Akademieprogramm zu Migration und Diversität).

Zitierempfehlung:

Nevin Ekinci (2015), „Bisher wurde immer über uns gesprochen und geschrieben“. Drei Fragen an Çiçek Bacık.
URL: www.jmberlin.de/node/6339

Interviewreihe: Neue deutsche Geschichten (12)

  • Neue deutsche Geschichten

    Im Rahmen der Reihe Neue deutsche Geschichten luden unsere Kolleg*innen vom Akademieprogramm zu Migration und Diversität von 2014 bis 2017 regelmäßig Gesprächspartner*innen ins Jüdische Museum ein, um mit ihnen anhand ihrer Biografien Geschichte und Gegenwart Deutschlands als Migrationsgesellschaft zu thematisieren. Fast immer entstanden im Vorfeld dieser Veranstaltungen Interviews, die wir hier für Sie zusammengestellt haben.

  • Karamba Diaby sitzt auf einer Treppe, er trägt einen blauen Anzug mit rotkarierter Krawatte

    Karamba Diaby

    „Diese Repräsentationskluft sollten wir schließen“

    Interview
    26. Mai 2017

  • Portät einer älteren Dame mit Dutt

    Anita Awosusi

    Über ihr Buch Vater unser – Eine Sintifamilie erzählt

    Interview
    6. Feb 2017

  • Schwarz-Weiß-Porträt eines jungen Mannes mit Brille im Halbprofil

    Ármin Langer

    „Von der Langeweile des friedlichen Zusammenlebens“

    Interview
    18. Okt 2016

  • Porträt einer Frau mit Brille, die lächelt und direkt in die Kamera schaut

    Marion Kraft

    „Der Anteil, den Schwarze Soldaten an der Befreiung Deutschlands vom Faschismus hatten, droht in Vergessenheit zu geraten”

    Livestream
    6. Jul 2016

  • Porträt einer jungen Frau, die lächelt

    Çiçek Bacık

    „Bisher wurde immer über uns gesprochen und geschrieben“

    Interview
    13. Okt 2015

  • Porträt einer Frau mit blauem Kopftuch, Lippenstift und Lidschatten, die nach oben links schaut.

    Fereshta Ludin

    „Ich wünsche mir, dass man mir mehr in die Augen schaut als auf das Tuch“

    Interview
    16. Sep 2015

  • Schwarz-weiß-Porträt eines Mannes.

    David Ranan

    „Anders, aber nicht fremd“

    Interview
    6. Jul 2015

  • Ausschnitt aus einem Buchcover: Es zeigt einen in Zeitung gewickelten Fisch, von dem man Kopf und Schwanzflosse sieht.

    Ahmad Milad Karimi

    „Warum ich gerne Muslim bin und wieso Marlon Brando viel damit zu tun hat“

    Interview
    9. Mär 2015

  • Porträt einer Frau mit Brille, die lächelt und direkt in die Kamera schaut

    Alina Gromova

    Generation „koscher light“. Junge russischsprachige Jüdinnen*Juden in Berlin

    Interview
    8. Sep 2014

  • Eine ältere Frau mit Brille und Kopftuch (links im Bild) spricht mit einer jüngeren Frau, die ebenfalls eine Brille trägt und am rechten Bildrand steht.

    Canan Turan

    Kıymet oder: Eine filmische Hommage an meine Großmutter

    Interview
    4. Jul 2014

  • Auf dem Cover ist ein Foto von drei spielenden Kindern zu sehen

    Urmila Goel und Nisa Punnamparambil-Wolf

    InderKinder. Über den kreativen Umgang mit Zuschreibungen

    Interview
    19. Mär 2014

  • Drei Frauen im Profil an einem Tisch, die lächelnd Bücher signieren

    Alice Bota, Khuê Pham und Özlem Topçu

    „Neue deutsche Geschichten“

    Interview
    29. Jan 2014

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