»Ich wünsche mir, dass man mir mehr in die Augen schaut als auf das Tuch«

Ein Gespräch mit Fereshta Ludin über Kopftuch-Debatten, Diskriminierungen und Wünsche für die Zukunft

Für das Recht, als Lehrerin mit Kopftuch unterrichten zu dürfen, ist Fereshta Ludin bis vor das Bundesverfassungsgericht gezogen (siehe unten). Am 17. September 2015 stellt sie bei uns im Rahmen der Reihe »Neue deutsche Geschichten« ihr Buch Enthüllung der Fereshta Ludin. Die mit dem Kopftuch vor. Rafiqa Younes und Julia Jürgens haben vorab mit ihr gesprochen.

Buchcover zeigt eine Frau mit Kopftuch

Buchcover © Deutscher Levante Verlag

Frau Ludin, haben Sie geahnt, dass Ihre erste Klage, die Sie 1998 im Alter von 25 Jahren gegen Ihren Arbeitgeber einreichten, eine bundesweite Debatte über das Kopftuchverbot auslösen würde?

So etwas kann man nicht ahnen, denn ich war noch sehr jung und auch sehr idealistisch. Ich wollte meinen Beruf als Lehrerin ausüben und weder die Öffentlichkeit noch irgendeinen Politiker mit meinem Vorhaben ärgern.

Hat sich aus Ihrer Sicht der lange Weg durch die Instanzen gelohnt, in dessen Verlauf Sie eine öffentliche Person geworden sind – »die mit dem Kopftuch«, wie der wohl ironisch gemeinte Untertitel Ihres Buches lautet?

Ich bereue keinen Schritt. Vielmehr hätte ich es bereut, Ungerechtigkeiten ertragen zu müssen. Mit dem Gang durch die Instanzen habe ich mich aktiv gegen Diskriminierung eingesetzt. Viele Frauen waren ebenso betroffen wie ich. Eine öffentliche Person zu werden, war dabei nie meine Absicht. Deutschlands Öffentlichkeit hat das Thema ›Kopftuch‹ auf mich fokussiert und viele gebildete und kompetente Frauen auf ihr Tuch reduziert. Jahrelang. Ich hoffe, dass sich das in Zukunft ändert. Das wäre mein Wunsch.

Wie haben Sie die Reaktionen auf die Debatte erlebt: Gab es Unterstützung von Menschen, mit der Sie nicht gerechnet haben? Und gab es andererseits auch Kritik, die Sie überrascht hat?

Kritik gab es immer und fast von allen Seiten, auch von der muslimischen Community. Ich war überrascht, als Politiker den Mut hatten, sich positiv zu der Debatte zu äußern, und sie sich unabhängig davon, was sie selbst zum Thema Kopftuch dachten, für das gleiche Recht auf Arbeit und gegen die Diskriminierung dieser Frauen einsetzten. Das habe ich aber nur bei sehr wenigen bewundern können.

Wie empfinden Sie heute die Situation für Frauen, die in Deutschland ein Kopftuch tragen? Würden Sie sagen, die Atmosphäre in der Öffentlichkeit hat sich geändert?

Die Atmosphäre hat sich politisch geändert. Sie ist nicht mehr so verschlossen und vorurteilshaft, aber es gibt noch viel in der Antidiskriminierungsarbeit zu tun. Aus meiner Sicht ist es entscheidend, sich stärker für die Selbstverständlichkeit von ethnischer, kultureller und religiöser  Vielfalt einzusetzen und sie zu fördern. In den letzten 17 Jahren, das heißt seit Beginn der öffentlichen Debatte um das Kopftuch, haben muslimische Frauen einen sehr langen und schweren Weg der Diskriminierung gehen müssen. Das ist vielen nicht klar und wir sollten auch darüber offen reden und reflektieren können.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie, seit Sie sich im Alter von 12 Jahren entschlossen haben, ein Kopftuch zu tragen, immer mit denselben Fragen konfrontiert werden: Ob Sie dazu gezwungen würden, es zu tragen, und ob das Kopftuch nicht ein Symbol der Unterdrückung sei usw.? Welche Frage(n) würden Sie sich stattdessen wünschen?

Ich möchte ungern ständig auf die Gründe eingehen oder mich dafür rechtfertigen müssen, weshalb ich mich persönlich entschieden habe, ein Tuch zu tragen. Jede Frau sollte selbst über ihre Kleidungsweise bestimmen dürfen, auch eine Muslima mit Kopftuch. Es sollte keine Rolle spielen, welche Glaubensüberzeugung der andere hat, wenn er/sie vor einem steht, ob Mann oder Frau. Entscheidend ist, was er/sie sagt, wie er/sie lebt oder handelt. Ich wünsche mir, dass man mir mehr in die Augen schaut als auf das Tuch.

Die Lehrerin Fereshta Ludin wurde nach ihrem 1998 erfolgreich abgeschlossenen Referendariat nicht in den baden-württembergischen Schuldienst übernommen, weil sie nicht auf das Tragen ihres Kopftuchs verzichten wollte. Sie klagte sich daraufhin durch alle Instanzen. Am 24. September 2003 erging ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das der Klägerin recht gab und befand, dass »ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, […] im geltenden Recht des Landes Baden-Württemberg keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage« fände.

Zugleich wurden die Bundesländer auf die Möglichkeit hingewiesen, eine solche Verbotsgrundlage neu zu schaffen. In der Folge erließen acht Bundesländer Gesetze, die das Tragen von religiösen Kleidungsstücken sowie Symbolen im Schuldienst und zum Teil auch in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes untersagen. In fünf Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen sowie dem Saarland) wurden in verschiedener Form Ausnahmen für christlich-abendländische und jüdische Kleidungsstücke und Zeichen formuliert.

Am 27. Januar 2015 hat das Bundesverfassungsgericht in einer neuen Entscheidung ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen für verfassungswidrig erklärt.

Weitere Informationen zur Lesung mit Fereshta Ludin finden Sie im Veranstaltungskalender auf unserer Website.

Kommentiert von openyourmind am 21. September 2015, 14:30 Uhr

Das Kopftuch ist ein ideologisch behaftetes Kleidungsstück, genauso wie die Burschenschafterkappe. Beides hat bei Lehrern an öffentichen Schulen nichts verloren.Frau Ludin ist kein Diskriminierungsopfer sondern eine beinharte Lobbyistin. Wünschenswert wäre ein konsequentes religiöses und weltanschauliches optisches Neutralitätsprinzip im öffentlichen Schulsystem, so wie es das vorbildlicherweise in Frankreich seit 2004 gibt und bewährt hat. Zurückhaltung mit dem auffälligen Sichtbarmachen der eigenen Ideologie im Unterricht drückt Respekt und Toleranz gegenüber Andersdenkenden weit besser zum Ausdruck als das aufdringliche Zurschaustellen.

Kommentiert von Redaktion am 22. September 2015, 23:00 Uhr

Es ist uns sehr daran gelegen, im Rahmen unserer Veranstaltungen Anreiz und Raum für öffentliche Diskussionen zu geben. So fand auch im Anschluss an die Lesung von Fereshta Ludin ein Publikumsgespräch statt, in dem unterschiedliche Argumente ausgetauscht wurden, und Anmerkungen, Kritik sowie Fragen ein breites Meinungsbild ergaben. Wir laden Sie ein, bei der nächsten Gelegenheit Ihren Standpunkt in diesem Rahmen zur Diskussion zu stellen und betrachten den von Ihnen erwähnten Respekt gegenüber Andersdenkenden als Voraussetzung jeder Begegnung.

Kommentiert von openyourmind am 23. September 2015, 07:59 Uhr

@Redaktion:
Danke für das Feedback! Was mich in der Diskussion stört ist, dass eine ausschließliche und einseitige Fokussierung auf die individuellen Interessen von Personen wie Frau Ludin stattfindet, die das Tragen eines ideologisches Kleidungsstück zum unverrückbaren Dogma erklärt, an das sich alle zu gewöhnen haben. Denjenigen, die das nicht kritiklos hinnehmen wollen, wird Intoleranz unterstellt. Das ist Diktat und nicht Dialog! Privat kann sich jeder so herrichten wie er/sie will. Es gibt gerade am Arbeitsplatz – umso mehr im Staatsdienst, im öffentlichen Schulsystem -auch ein Anrecht auf Schutz der negativen Religions- bzw. Weltanschauungsfreiheit. Es entspricht dem Wesen des Pluralismus und es ist kein Ausdruck von Vorurteilen, dass Kopftücher, ebenso Burschenschafterkappen, Hammer-Und-Sichel-Plaketten oder atheistische „Gut Ohne Gott“ T-Shirts auch negative Reaktionen auslösen und bei Lehrern als unpassend empfunden werden. Das einfach nicht akzeptieren zu wollen und sich immer nur selbst als „Diskriminierungsopfer“ zu sehen ist in Wahrheit die egomanische, unsensible und rücksichtslose Ausübung eines Faustrechts unter Missachtung berechtigter Interessen anderer.

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