Ausstellungen werden von Museen gemacht, oder?

Über unterschiedliche Bedeutungen von Ausstellung für Schule – Dokumentation der Arbeitsgruppe

Mehr und mehr diskutieren Museen die Frage nach der Partizipation von Besucher*innen. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Wir fokussierten gezielt das Kuratieren: Das Jugend Museum Schöneberg bindet Bewohner*innen des Stadtteils in diese museumseigene Arbeit ein. Das Jüdische Museum Berlin unterstützt Schulen, eigene Ausstellungen zu erarbeiten.

Lehrkräfte berichten über ihren Umgang mit Ausstellungsobjekten. Gemeinsam diskutierten wir, was eine partizipativ angelegte Ausstellung verändern kann; einerseits die Arbeitsweise eines Museums, indem sie Menschen Teilhabe und Identifikation bietet. Andererseits gibt sie Lernenden wie Lehrenden an Schulen die Möglichkeit, bei einem Ausstellungsbesuch eine aktive Rolle einzunehmen.

Die Arbeitsgruppe moderierte Dr. Diana Dressel mit Impulsen von

Petra Zwaka: VILLA GLOBAL – The Next Generation. Ein partizipatives Projekt im Jugend Museum Berlin

Unter dem Titel „Heimat Berlin. Migrationsgeschichte für Kinder“ konzipierten wir 2011 ein dreijähriges partizipatives Modellprojekt. Wir sahen die besondere Herausforderung darin, Programme zu entwickeln, in die sich junge Menschen aktiv mit ihren eigenen Erfahrungen einbringen konnten. Am lokalen Beispiel wurde der Blick auf die Frage gelenkt, wie Einwanderung den Bezirk über Jahrhunderte verändert und wie andererseits die Stadt die Eingewanderten geprägt hat. Die Migrationsgeschichte wurde hier nicht als „Sonderfall“ erzählt, sondern als integraler Bestandteil der historischen Entwicklung von Berlin.

Die Durchführung der Lernwerkstätten haben gezeigt, dass Kinder und Jugendliche Räume und kreative Methoden brauchen, in denen sie individuell an ihren Themen arbeiten können. Offene Lernformen bieten jungen Menschen die Möglichkeit, ihre individuellen Fragestellungen zu entwickeln und eigene Potentiale einzubringen oder sie zum ersten Mal an sich wahrzunehmen. Wir haben aber auch das erlebt, was alle erfahren, die junge Menschen an der Ausgestaltung eines Projektes im wahrsten Sinne des Wortes „teilhaben“ lassen, indem wir ihnen auf Augenhöhe begegnet sind, ihre Gedanken ernstgenommen und vor allem ihre Ergebnisse für ausstellungswürdig gehalten haben: stolze Schüler*innen, die selbstbewusst ihre Ergebnisse öffentlich vorstellen und keine Rückfragen von Besucher*innen scheuen.

Was erleichtert die partizipativen Arbeitsweise?

  • Der biographische Zugang: Kinder und Jugendliche gehen in Kontakt mit anderen Menschen, die sie nach ihrer Lebensgeschichte befragen. So können sie sich in Beziehung setzen, identifizieren, auseinandersetzen, und sie fühlen sich als Gesprächspartner*in ernst genommen. Die Begegnungen bieten ihnen darüber hinaus die Chance, eigene Meinungen und Vorurteile zu hinterfragen.
  • Das entdeckende und forschende Lernen, das selbstbestimmte Denk- und Lernprozesse ermöglicht, Freiräume für Fragen und Experimente, ungewöhnliche Perspektiven und Visualisierungsformen eröffnet.
  • Das Einbeziehen von künstlerisch-ästhetischen Methoden in den Prozess der Geschichtsvermittlung, wie Ansätze aus der Theater-, Kunst- und Medienpädagogik, die viele visuelle Ausdrucksformen ermöglichen.

Die neue VILLA GLOBAL

Die Erfahrungen und Erkenntnisse wurden auf die Neukonzeption der VILLA GlOBAL übertragen. Die neue VILLA trägt jetzt den Zusatz „The Next Generation“, der durchaus mehrdeutig zu verstehen ist. Hier geht es nicht nur um die zeitgemäße Neuauflage einer Ausstellung. Im Mittelpunkt stehen Menschen zwischen 14 und 79 Jahren, die zum Leben unserer Stadt gehören und die mit ihren Geschichten deutlich machen, warum eindeutige Zuordnungen so schnell problematisch werden können. Manche haben Eltern aus verschiedenen Ländern und wurden zweisprachig erzogen. Sie werden aktuell als „Bindestrich-Deutsche“ bezeichnet. Manche sind aus den unterschiedlichsten Ländern jüngst nach Deutschland eingewandert, wie die junge Laura aus Polen, die sich als Europäerin sieht. Andere sind hier geboren und aufgewachsen. Sie haben keine eigenen Migrationserfahrungen und können mit den Erzählungen der Eltern und Großeltern meist nicht viel anfangen. Wieder andere werden nur für kurze Zeit hier sein, wie Marthe aus Ruanda, die für ein Freiwilliges Jahr nach Berlin kam, oder Nirit aus Israel, die noch nicht weiß, wie lange sie hier wohnen wird.

In der VILLA gibt es 14 Räume und 15 Menschen, die ihre Geschichten preisgegeben haben und von Beginn an aktiv an der inhaltlichen und räumlichen Gestaltung der Räume beteiligt waren. Als Expert*innen für ihre eigene Geschichte sollten ihre Perspektiven Eingang in die Präsentationen finden. So arbeiteten sie mit bei der Auswahl der Exponate, der Fotos sowie des Ausstellungsmobiliars, schrieben eigene Texte oder redigierten unsere Kommentare.

Über ein Vierteljahr dauerte diese Zusammenarbeit, die von intensiven Gesprächen und gemeinsamer Arbeit geprägt war. Die engagierte Beteiligung der neuen „Bewohnerinnen und Bewohner“ gibt den Räumen eine Authentizität und Tiefe, die ohne sie niemals zu erreichen gewesen wäre. Die Bitte zur Mitarbeit hat am Anfang durchaus gemischte Gefühle hervorgerufen. So dachte Hanadi zunächst: „Warum soll ich mein Leben in einem Museum ausstellen, bin ich jetzt schon antik?“ Als der Raum fertig war, sagte sie: „Es ist mir eine Ehre, hier dazu zugehören!“. Die Gestaltung der privaten, fast intimen Räume war eine Herausforderung auch für unser Museumsteam. Grenzen ernstnehmen war dabei eine wesentliche Prämisse in diesem Prozess, nicht nur Nehmen, sondern auch Geben, im Gespräch, im Aushandeln von Schwerpunktsetzungen und Umsetzen von Wünschen.

Die ersten Erfahrungen mit der Ausstellung liegen inzwischen hinter uns. Die Kinder und Jugendlichen zeigen eine erstaunliche Empathie für die Menschen, deren Lebensgeschichten hier im Zentrum stehen. Zur Ausstellung gibt es ein Leseheft für den Unterricht, ein Ausstellungspixi zum Mitnehmen und eine Projektdokumentation für Lehrende und Multiplikator*innen der Kulturellen Bildung.

ZeitDinge. Bericht von Silvia Linnenbürger über das Ausstellungsprojekt im Jüdischen Museum im Mai 2013

Eines Tages waren wir Teil des Projektes Vielfalt in Schulen. Begeistert nahm ich zur Kenntnis, dass nicht wie üblich die Schüler*innen unterwiesen wurden, sondern wir Lehrer*innen. Endlich was für mich tun, toll!

Unsere Diversity Trainings waren ein voller Erfolg. Und ich hatte viel über mich, meine Schubladen und meine eigenen Grenzen gelernt. Im Rahmen der Kooperation haben wir zu dem Thema „Zeit“ mit unseren Schüler*innen eine eigene Ausstellung konzipiert; ein guter Anlass, um über das Jubiläum 50 Jahre Falkenhagener Feld nachzudenken. Zunächst wurden wir Lehrer*innen geschult und guckten uns aufmerksam im Jüdischen Museum Berlin um. Wie kann man Objekte gut präsentieren? Wie wird etwas in den Vordergrund gehoben, wie kann eine Gemeinsamkeit hergestellt werden, wie werden Dinge in Vitrinen platziert? Was muss alleine stehe usw. Nachdem wir unsere eigenen „ZeitDinge“ im Seminar vorgestellt hatten, fasste ich den Entschluss, dass ich das genauso mit den Schüler*innen machen wollte.

Motivation: Wir dürfen eine eigene Ausstellung im Jüdischen Museum machen

  • Vorfreude: Museumsbesuch, Sichtung und Auswahl der Objekte, Materialsichtung zum Ausstaffieren der Vitrinen (brauchen wir Erhöhung? Samt zum Auskleiden? Welche Farbe? Wer besorgt was?)
  • Ehrgeiz: Wenn Ausstellung, dann eine richtig schöne! Eine Beschriftung der Objekte muss her. Einige Informationen, nicht zu viele, schöner weißer Karton und keine Fehler! Alle Schüler*innen übten das Schönschreiben. Diese Ausstellungsplanung beschäftigte uns fächerübergreifend in Ethik, Deutsch und Kunst. Besser geht’s nicht.
  • Interesse geweckt: Je mehr die Klasse im Projekt steckte, desto mehr Anfragen kamen aus anderen Klassen: „Können wir da nicht doch mitmachen?“ So ergab sich die Teilnahme von zehn weiteren Jugendlichen.

Die Klasse 10.1 war nicht nur interessiert an meinen Erinnerungsstücken und deren Geschichten, sondern auch begeistert davon, ihre intimsten Zeitobjekte den anderen vorzustellen. Für sie war es eine Ehre, diese Ausstellung gestalten zu können. Bei der Vorstellung innerhalb der Klasse waren alle empathisch und konzentriert. Die mitgebrachten Objekte waren Kuscheltiere von wichtigen Personen, teils kaputt geliebt, Uhren von bereits verstorbenen Opas, Schmuckstücke von Freunden, Briefe, Kinderschuhe, ein Konfirmationskleid von der verstorbenen Tante … Die Bedeutung der Erinnerungsstücke wuchs durch die erzählten Geschichten. Wir waren uns sehr nah und vertraut.

Die Ausstellung: Es war ein Erlebnis!

Stolze Schüler*innen vor ihren selbst gestalteten Ausstellungsvitrinen. Fotos wurden gemacht, Geschichten erzählt, Tränen vergossen, Lob ausgesprochen. Manche der Schüler*innen waren dreimal dort. Mit Eltern, mit der Klasse, mit Freund*innen. Das Jüdische Museum Berlin wurde zum vertrauten Lernort. Die Schüler*innen bewegten sich wie Profis auf dem Gelände. Es war eine sehr lehrreiche Zeit für uns alle.

Vielfalt war das Oberthema, auch, da die Teilnehmenden aus verschiedenen Ländern, Kulturen und Familienstrukturen kamen. Vielen Dank, dass diese Kooperation so gut gelang.

Kontakt

Dr. Diana Dressel
Leiterin der Bildungsabteilung
T +49 (0)30 259 93 515
d.dressel@jmberlin.de

Tagungsdokumentation: Schule und Museum in der Migrations­gesellschaft (19)

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