Der Golem als Techno-Imagination

Beitrag im Ausstellungskatalog GOLEM

Cosima Wagner

Der Fotograph Yves Gellie gibt Einblicke in Robotik-Werkstätten und hält damit Entstehungsmomente technischer Artefakte fest. Er zeigt, dass Technik – durch meist männliche Entwickler – menschengemacht ist und nicht plötzlich aus einer black box in die Welt tritt.

Was wir sehen, sind Kameras, Silikon-Körperteile, Kabel, Werkzeuge, pinkfarbene Schaufensterpuppen mit Mickey-Mouse-Ohren und Plastik-Reifrock. Was wir nicht sehen, sind die Visionen und Leitbilder, die den Robotik-Experten beim Bau ihrer Modelle Orientierung gaben und geben. Warum werden tanzende Roboter entwickelt? Warum müssen Frauen-Roboter Pumps tragen? Welchen Nutzen hat ein „Alter Ego“-Roboter? Welche Verwendungskontexte schweben den Entwicklern vor? Zu welchen Erkenntnissen gelangen sie bei der Konstruktion ihrer Human Version 2.0? Diese Fragen möchte man den Entwicklern stellen, um mehr über ihre Weltbilder und Werthaltungen bzw. den „Zwecke-orientierenden sinnstiftenden kulturellen Hintergrund“1 der Artefakte erfahren.

Folgt man der Kritik von David Gelernter, Professor für Computer Science an der Yale-Universität, so ist die der Entwicklung von humanoiden Robotern und der Künstlichen Intelligenz-Forschung zugrunde liegende „sinnstiftende Annahme“, dass der Mensch seinen Körper durch das Konstruieren von Maschinen in Menschenform oder seinen Geist durch das Studium der Computer besser verstehen könne, ein Trugschluss mit ethisch-moralischer Tragweite. Denn wie sich gezeigt habe, sei der Geist kein formales System, das man durch das Wissen über Software erklären könne. Der Geist enthalte sehr viel mehr Unbekanntes als Bekanntes.

Foto einer Roboterwerkstatt mit halben Schaufensterpuppen, Kabeln, halben Robotern

Aus der Serie:
Human Version 2.0
Yves Gellie, 2007-2012
120 x 96 cm
Courtesy of the artist / galerie du jour agnès b, Paris

Überhaupt sei die Parabel des Golem in Scholems Essay als Mahnung an Wissenschaftler zu verstehen, vorsichtig mit ihren Erfindungen umzugehen.2 Dessen ungeachtet rief der japanische Premierminister Shinzô Abe im Januar 2015 „das Jahr 1 der Roboter-Revolution in Japan“ aus. Mit der Förderung von Robotertechnologie für alle Bereiche des Alltagslebens – von der Arbeit in der Industrie, in der Landwirtschaft, dem Dienstleistungsbereich, der Pflege bis hin zum Katastropheneinsatz – solle nichts weniger als eine zweite industrielle Revolution im Land auf den Weg gebracht werden. Ein vorgelegter „Neuer Roboterstrategieplan“ zeige einen Weg auf, wie Japan als „Zentrum der Welt aufleuchten und zum Schaufenster einer weltweit führenden Roboter-Anwendungsgesellschaft werden könne“.3

Als die „Roboter-Revolution“ begleitende Narration wird dabei auf zahlreiche Robotergeschichten der Populärkultur, insbesondere in Manga und Anime, verwiesen, in denen bereits seit den 1950er Jahren der Traum vom menschenfreundlichen Roboter als Symbol für technologischen Optimismus visuell und literarisch beschrieben wird. Die bekanntesten Figuren dieser Serien wie z. B. der Roboterjunge Astro Boy des Manga-Zeichners Osamu Tezuka (1928-1989) oder die Roboterkatze Doraemon des Zeichners Hiroshi Fujimoto (1933-1996) haben Nationalikonen-Status erlangt und dienen als Referenz für die Idee vom sozialen Roboter als Freund und Helfer des Menschen.

Mag die Idee eines Roboterfreund und -helfers des Menschen als „Techno-Imagination“ in Japan zwar positiv konnotiert sein, so gibt es doch bislang nur sehr wenige marktreife, in der Anwendung sichere next generation-Roboter für private Nutzer*innen zu erschwinglichen Preisen. Aus Genderperspektive wird zudem das traditionelle Geschlechterbild kritisiert, welches beim Bau und der Funktionsweise der neuen Roboter herangezogen werde.4 Insgesamt seien die tatsächlichen Bedürfnisse zukünftiger Nutzer*innen nur ungenügend erforscht.5

Für die Debatten um den Menschen „Version 2.0“ und eine in naher Zukunft angeblich unausweichlich robotisierte, „transhumane“ Gesellschaft lohnt sich also nicht nur ein fragender Blick in Technik-Labore, sondern auch die Lektüre von Mythen und Legenden, denen als „kollektive Gewissheiten“ eine technikformende Funktion zukommt.6 Sie können als techno-imaginäre – die Entwicklung von Robotern und künstlicher Intelligenz begleitende – Leitbilder herangezogen, aber eben auch wieder verworfen werden.


  1. Oliver Parodi, Technik als kulturelle Unternehmung, in: Gerhard Banse/Armin Grunwald (Hg.), Technik und Kultur. Bedingungs- und Beeinflussungsverhältnisse, Karlsruhe 2010, S. 197-216, hier S. 202. ↩︎
  2. Lothar Müller, Das Gehirn des Golem. Gespräch mit David Gelernter, in: Süddeutsche Zeitung, 26.-28.03.2016. ↩︎
  3. Amtssitz des Premierministers von Japan (Hg.), Sōri no ichinichi [Tagesablauf des Premierministers], 23. Januar 2015, Robotto kakumei jitsugen kaigi [Robot Revolution Realization Council] http://www.kantei.go.jp/jp/97_abe/actions/201501/23robot.html (7.2.2015). ↩︎
  4. Jennifer Robertson, Robo sapiens japanicus: Humanoid Robots and the Posthuman Family, in: Critical Asian Studies 39 (3, 2007), S. 369–398. ↩︎
  5. Hirohiko Arai, Ima no robotto shijō wa „tsukutte yorokobi, utte kurushimi, katte kurushimi“ jōkyō na no dewa, sābisu robotto no shijō no kenjitsu na hatten ni muketa teigen [Der gegenwärtige Markt für Roboter ist durch das Motto ‚Freude beim Bauen der Roboter, Jammern beim Verkauf und Kauf der Roboter’ gekennzeichnet. Plädoyer für eine solide Entwicklung des Marktes für Service-Roboter], in: Robonable Trend Watch vom 23.3.2009. http://www.robonable.jp/trend/2009/03/post-5587.html (7.2.2015). ↩︎
  6. Parodi, 2010, S. 201. ↩︎

Foto: Ein Mann tanzt mit einem „weiblichen“ Roboter in magentafarbenem Ballkleid, während ein zweiter Mann zuschaut.

Aus der Serie:
Human Version 2.0
Yves Gellie, 2007-2012
120 x 96 cm
Courtesy of the artist / galerie du jour agnès b, Paris

Zitierempfehlung:

Cosima Wagner (2016), Der Golem als Techno-Imagination. Beitrag im Ausstellungskatalog GOLEM.
URL: www.jmberlin.de/node/4713

Cosima Wagner

Cosima Wagner arbeitet an der Freien Universität Berlin als wissenschaftliche Koordinatorin des Ostasien-Clusters in der Campus-Bibliothek und ist assoziiertes Mitglied des Fachbereichs Japanologie. Ihre Arbeiten befassen sich mit Themen der Science and Technology Studies in Japan mit besonderem Fokus auf Robotertechnologie für den Alltag, der Geschichte des Alltagslebens und der Konsumgeschichte Japans nach 1945, japanischen Objektgeschichten" seit dem frühen 20. Jahrhundert.

Sie ist Autorin der Monographie "Robotopia Nipponica - Recherchen zur Akzeptanz von Robotern in Japan". Marburg: Tectum (2013): http://www.tectum-verlag.de/robotopia-nipponica.html (siehe PDF).

Zusammenfassung der Dissertation von Cosima Wagner

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Golem als Actionfigur (Ausschnitt)

Online-Ausgabe des Katalogs GOLEM: Inhaltsverzeichnis

Der Golem in Berlin – Einleitung von Peter Schäfer
Kapitel 1
Der Golem lebt – Einführung von Martina Lüdicke
My Light is Your Life – von Anna Dorothea Ludewig
Avatare – von Louisa Hall
Das Geheimnis des Cyborg – von Caspar Battegay
Kapitel 2
Jüdische Mystik – Einführung von Emily D. Bilski
Golem-Zauber – von Martina Lüdicke
Golem, Sprache, Dada – von Emily D. Bilski
Kapitel 3
Verwandlung – Einführung von Emily D. Bilski
Figur-Grund. Jana Sterbaks Golem: Objects as Sensations – von Rita Kersting
Crisálidas (Schmetterlingspuppen) – von Jorge Gil
Rituale – von Christopher Lyon
Der Golem, der ein gutes Ende nahm – von Emily D. Bilski
Über den Golem – von David Musgrave
Louise Fishmans Farb-Golem – von Emily D. Bilski
Kapitel 4
Mythos Prag – Einführung von Martina Lüdicke
Golem-Variationen – von Peter Schäfer
Rabbi Loews wohlverdientes Bad – von Harold Gabriel Weisz Carrington
Kapitel 5
Horror und Magie – Einführung von Martina Lüdicke
Golem und ein kleines Mädchen – von Helene Wecker
Der Golem mit tanzender Kinderschar – von Karin Harrasser
Die Belebung der Filmkulisse – von Anna-Carolin Augustin
Der Golem und Mirjam – von Cathy S. Gelbin
Kapitel 6
Außer Kontrolle – Einführung von Emily D. Bilski
Mit glühendem Hammer erweckter Mann – von Arno Pařík
Gefährliche Symbole – von Charlotta Kotik
Gib acht, was du dir wünschst – von Marc Estrin
Kapitel 7
Doppelgänger – Einführung von Martina Lüdicke
Aus dem Golem-Talmud – von Joshua Cohen
Kitajs Kunst-Golem – von Tracy Bartley
Aktuelle Seite: Der Golem als Techno-Imagination – von Cosima Wagner
Siehe auch
GOLEM – 2016, Online-Ausgabe mit ausgewählten Texten des Katalogs zur GOLEM-Ausstellung
GOLEM – 2016, Printversion des Katalogs zur GOLEM-Ausstellung
Der Golem. Von Mystik bis Minecraft – Online Feature, 2016
GOLEM – Ausstellung , 23. Sep 2016 bis 29. Jan 2017

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