Tracy Bartley
„Wer sonst wäre so töricht und wirklichkeitsfremd, dass er in dieser Zeit versuchen würde, einen Golem namens Jüdische Kunst zu erschaffen?“
R. B. Kitaj
Als Kitaj im Sonnenschein von Los Angeles alt wurde, umgeben von seinen Söhnen und Enkeln, trauerte er um seine geliebte Frau, Sandra Fisher. Und er setzte seine Suche nach einer jüdischen Kunst fort – kritisch, bestimmend, schöpferisch. Hier, in seinem leuchtend gelben Atelier, trieb er sein künstlerisches Schaffen weiter. Einem unerbittlichen Arbeitsethos und einer felsenfesten Routine folgend, malte, zeichnete und schrieb er Tag für Tag – um seine jüdische Kunst zu erschaffen.
Kitaj hatte sich daran abgearbeitet, zu definieren, was jüdische Kunst sei: „Es gibt dafür keine einfache Definition“, sagte er, „außer zu behaupten, eine jüdische Kunst existiert, weil ich ihre Existenz unbedingt will …“1
Ein Golem ist eine Gestalt, die aus Staub oder Erde von einem Menschen geschaffen und durch eine besondere Folge von hebräischen Buchstaben und rituellen Beschwörungen zum Leben erweckt wird. Er kann „ein Helfer, ein Gefährte, ein Retter“ sein. Kitaj erweckte seinen Golem „jüdische Kunst“ durch eine besondere Themenauswahl zum Leben, verbunden mit seiner rituellen Schaffensweise: Stunden voller Hingabe vormittags und nachmittags in seinem Atelier. Seine Kunst half ihm mit der Trauer fertig zu werden, und rettete ihn vor der Depression, mit der er ein Leben lang zu ringen hatte. Sie wurde ihm zur Gefährtin. (Jeden Tag küsste er ein Porträt von Sandra, das er im Atelier aufbewahrte; seine Lippen haben eine Spur darauf hinterlassen.) Durch Kunst schuf er seinen Golem – und durch seinen Golem wurde eine jüdische Kunst geboren.
Tracy Bartley studierte Malerei und Art Conservation. Danach arbeitete sie als Projektkoordinatorin am Getty Conservation Institute in Los Angeles. Für das Museum of Contemporary Art begleitete sie die Charles Ray Ausstellung als Ausstellungs-Restauratorin. 1999 wurde sie die persönliche Assistentin von Kitaj und ist heute die Studioleiterin des R.B. Kitaj Estate.
- Eingangszitat: R. B. Kitaj, Confessions. Unveröffentlichtes Manuskript, 2007. Hier: R. B. Kitaj in einem Vortrag (Jerome Nemer Lecture) an der University of South California, Los Angeles, am 20. Oktober 2004. ↩︎
Zitierempfehlung:
Tracy Bartley (2016), Kitajs Kunst-Golem. Beitrag im Ausstellungskatalog GOLEM.
URL: www.jmberlin.de/node/4712
Teilen, Newsletter, Feedback
Kapitel 7 – Doppelgänger: Ausgewählte Texte (3)